Offener Brief: “Priesterin ohne Kirche” 04.2013

"Kurz nach der Wahl von Papst Franziskus habe ich sie zum ersten Mal bei Beckmann in der Talkshow gesehen, die junge Theologiestudentin Jacqueline Straub aus Freiburg, und etwas später erneut im ORF 2 im Beitrag „Jesus und die verschwundenen Frauen“, und zwar bei ihrer Begegnung mit der feministischen Theologin Elisabeth Schüssler-Fiorenza von der Harvard Divinity School, Cambridge, Massachusetts, USA. Straub will Priesterin werden. Fühlt sich zutiefst dazu berufen. Und zwar dort, wo sie religiös zuhause ist und sozialisiert wurde: in der katholischen Kirche. So einfach ist das. Und scheint so unmöglich.

Diesen Wunsch habe ich schon häufiger gehört. Etwa von Helen Schüngel-Straumann, der ersten Schweizer Katholikin, die als Theologin promovierte und in Kassel Professorin wurde für Altes Testament. Für Radio DRS haben wir zusammen in den frühen 80er Jahren Sendungen über vergessene Frauen in der Bibel gemacht. Oder von meiner geistlichen Mutter Catharina J.M. Halkes aus Nijmegen, die 1977 als Leiterin des Projektes „Christentum und Feminismus“ referierte an einem UNO-Seminar in Groningen: über das neue Bild des Menschen aus der Sicht der feministischen Theologie. Später wurde der Lehrstuhl für Feministische Theologie geschaffen und Catharina Halkes feierlich und von Frauen geleitet in ihre Professur eingesetzt. Und als Johannes Paul II. die Hochschullehrerin auf seiner Hollandreise nicht empfangen wollte, lud sie ein zum Seminar „… und Sarah lachte“. In unseren Tagen nun will eine junge Frau, die eine Enkelin, ja Urenkelin dieser Vorkämpferinnen sein könnte, katholische Priesterin werden und sagt das in aller Öffentlichkeit. Ruhig. Selbstverständlich. Lächelnd. Raubt mir damit den Schlaf, und wenn ich träume, dann zeigen meine Traumbilder Priesterinnen, Prophetinnen, weise Frauen und Göttinnen, wie wir sie kennen seit der Urzeit der Menschheit.

Ich bin eine Priesterin ohne Kirche. Als ehemalige Pfarrerstocher habe ich mich als Laienfrau in der Kirche, als gelernte Historikerin und Politologin und Berufsfrau im Journalismus seit meiner Begegnung mit Catharina Halkes auf den Weg der feministischen Theologie gemacht, der mich schliesslich zu einer nicht-mehr-christlichen Naturfrömmigkeit, zur Göttinnenbewegung und in eine eigenständige feministische Spiritualität geführt hat. Auf diesem Boden arbeite ich heute als Anbieterin nichtkonfessioneller religiöser Dienstleistungen. Oft habe ich nicht verstanden, mich sogar darüber aufgehalten, warum meine katholischen Freundinnen und Schwestern im Geiste ihrer Kirche, unter der sie so manifest leiden, die Treue halten. Für mich war der Exodus aus dem Haus der Kirche Zwinglis wichtig und richtig. Eine Catharina Halkes wollte ihn nicht. Eine Jacqueline Straub will ihn nicht. Und hat für sich recht damit. Ich verstehe, dass sie das will, worauf sie ein Recht hat. Und dafür kämpft. Ruhig. Selbstverständlich. Lächelnd. Das bewegt mich tief. Und ich wünsche ihr und mir, dass sie noch zu meinen Lebzeiten zur Priesterin geweiht wird. Ich reiche ihr die Hand in der Gemeinschaft derer, die sich im Dienst wissen von „Amor, che move il sole e l’altre stelle“ – jener Liebe, die die Sonne bewegt und die anderen Sterne (Dante)."

Ursa Krattiger, Buchautorin, Politologin und Journalistin, reformierte Pfarrerstochter, die aus ihrer Kirche ausgetreten ist. Sie bezeichnet sich als «Priesterin ohne Kirche», die nichtkonfessionelle religiöse Dienstleistungen anbietet.

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www.aufbruch.ch/2920

Basler Zeitung vom 3. April 2013